Die Siechenhauskapelle in Essen Rüttenscheid
Sie ist das älteste Gebäude des quicklebendigen Stadtteils – und ohne den Einsatz der Rüttenscheider Bürger wäre sie nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut und später sogar abgerissen worden. Aber nun steht sie noch immer, etwas abseits an der Rüttenscheider Straße, und jeden Tag kommen bis zu 100 Menschen herein, um vor der mittelalterlichen Pietà ein Licht anzuzünden, ein Gebet zu sprechen – oder einfach nur einen Moment der Stille zu genießen. Wieder sind es Rüttenscheider Christen, die das möglich machen. Sie schließen jeden Morgen um 9 Uhr die Türe auf und schließen sie abends um 18 Uhr wieder zu, an 365 Tagen im Jahr.
Der Name „Siechenhauskapelle“ verweist auf das Mittelalter. Die Lepra oder auch Aussatz verbreitete sich rasant durch die Kreuzzüge im 11. bis 13. Jahrhundert in ganz Europa. Für die Versorgung der Kranken wurden vor den Toren der Städte Siechenhäuser, sog. Leprosorien, erbaut.
Eine erste Nennung des Essener Siechenhauses in der Bauernschaft Rüttenscheid, damals etwa zwei Kilometer von Essens Stadttoren entfernt, lässt sich bereits im 14. Jahrhundert belegen. Urkundlich nachweisbar ist das Essener Siechenhaus seit 1410. Zu dem Siechenhof gehörten das Siechenhaus mit Hofraum, ein kleiner und großer Garten, ein Eichen- und Buchenwald - der sogenannte Leprosenbusch - und ein Fischteich. Nachdem immer weniger Aussätzige zu versorgen waren, wurde das Siechenhaus im Jahr 1726 verpachtet. 1860 wurde der Leprosenhof verkauft, die Siechenhausstiftung erreichte somit ihr Ende.
Erhalten hat sich heute nur noch die zugehörige Siechenhauskapelle. Sie war bis zum Jahr 1890, bis zur Fertigstellung der Rüttenscheider Ludgeruskirche, einziges Gotteshaus der Pfarrei. Die Siechenhauskapelle, etwa im Jahr 1445 errichtet, ist ein kleiner Saalbau mit innen und außen verputzten Wänden, einem Satteldach mit Glockentürmchen und einer Holzbalkendecke.
Der Priester Josef Varnhorst ließ durch eine größere Stiftung im Jahr 1476 eine Vikarie, die FUNDATIO CAPELLAE LEPROSUM errichten, die mit einem Wohnhaus an der Kapelle und Land verbunden war. Der Inhaber dieses Benefiziums erhielt Geld, Getreide und Vieh. Im Gegenzug hatte er die Verpflichtung, für die Kranken die Heilige Messe zu feiern und sie seelsorgerisch zu betreuen. Bürgermeister und Rat der Stadt bestimmten den Priester, der Mitglied der Familie Varnhorst oder mindestens Essener Bürger sein musste. Später waren es auch Mitglieder der verschwägerten Familie Mittweg. Der letzte Rektor der Siechenhauskapelle, Johann Sebastian Wilhelm Mittweg, starb 1835. Heute liegt die Verantwortung für die Siechenhauskapelle beim Essener Domkapitel.
Im Zweiten Weltkrieg nahm die kleine Kapelle großen Schaden. Es gab Pläne, sie ganz abzureißen. Aber auf Initiative des Katholischen Akademikerverbandes konnte sie vor dem Verfall bewahrt und wiederaufgebaut werden. Als in direkter Nachbarschaft ein großes Hotel gebaut wurde, nahmen die Grundmauern der Kapelle erheblichen Schaden. Nicht immer gingen die Stadtplaner pfleglich mit dem Kleinod um. Nur mit großer finanzieller Kraftanstrengung wurde die Siechenhauskapelle stabilisiert und so erneut für Rüttenscheid bewahrt. Seit 1985 steht die Siechenhauskapelle unter Denkmalschutz. Zuletzt wurde im Jahr 2018 mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW der Dachstuhl saniert, die Schieferdeckung erneuert sowie die Außenfassade restauriert.
Der Altar aus dem Jahr 1629 zeigte ursprünglich eine Kreuzigungsszene mit Siechenmädchen. Das Gemälde befindet sich heute in Privatbesitz. Eine Kopie hängt an der Nordwand der Kapelle. Den neuen Altar, unter Verwendung der alten Altarplatte, schuf der Bildhauer Johannes Niemeyer aus Wiedenbrück. Für den Tabernakel, das Altarkreuz und den Standleuchter verwendete Niemeyer Überreste der im Krieg zerstörten Objekte. Auch der in den Trümmern gefundene Dachreiterhahn aus dem Jahr 1758 konnte wieder auf dem Türmchen montiert werden. Die kleine Glocke wurde 1738 in Köln gegossen und überstand den Krieg unbeschadet. Hinter einem neuzeitlichen Gitter an der Südwand findet sich die wertvolle mittelalterliche Pietà. Die farbigen, dunkel gehaltenen Glasfenster sind Arbeiten des bekannten Soester Künstlers Hans Kaiser.
Im Jubiläumsjahr 1996 wurde die Kapelle ein weiteres Mal umfassend renoviert und im Zuge dessen erhielt sie ein neues Hängekreuz über dem Altar und einen neuen Ambo, beides geschaffen vom Velberter Künstler Helge Kühnapfel. Das hölzerne Kruzifix an der Außenwand zur Rüttenscheider Straße hin schuf der Essener Bildhauer Karl Zangerle.
Im Jahr 1998 stellte der Bischof von Essen die Siechenhauskapelle unter das Patronat „der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria“ mit dem Titel „Siechenhauskapelle zur schmerzhaften Mutter“. Der Titel schlägt die Brücke von den Kranken und Ausgestoßenen, die hier im Mittelalter um Trost und Beistand baten – bis hin zur Gegenwart. Nach 580 Jahren wird an diesem Ort in Rüttenscheid immer noch gebetet. Die mittelalterliche Marienfigur und die Mauern der Kapelle haben in den Jahrhunderten viele fromme Gebete gehört. Sie haben so manches Leid zu hören bekommen – und immer mal wieder haben sie Trost gespendet. Und das werden sie weiterhin tun.
Kunst als Glaubenszeugnis in der Siechenhauskapelle
Die Errichtung der Siechenhauskapelle fällt in die Zeit von 1426 bis 1445. Das genaue Entstehungsjahr ist nicht mehr bekannt. Bewusst zurückhaltend kommt die Kirchenkunst in der Siechenhauskapelle heute daher. Über manches ist arg wenig bekannt und nichts überliefert. An dieser Stelle listen wir das auf, was in diversen Veröffentlichungen zu finden ist. Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zusätzliche Informationen oder Fotografien zur Geschichte der Siechenhauskapelle haben, nehmen Sie doch bitte Kontakt mit uns auf.
Die Pietà
Als Pietà wird eine bildliche Darstellung Marias bezeichnet, die um den toten Sohn in ihren Armen trauert. Entsprechende Werke der Bildenden Kunst entstanden seit Anfang des 14. Jahrhunderts in Deutschland. Die kleine Holzfigur der Mutter Maria mit dem Leichnam ihres gekreuzigten Sohnes in der Siechenhauskapelle wurde im Mittelalter von einem unbekannten Meister geschaffen. Seit wann sie in der Siechenhauskapelle steht und dort angebetet wird, ist nicht bekannt. In späteren Zeiten wurden kräftige Farbschichten aufgetragen. Der rechte Arm der Jesusfigur ist abhandengekommen.
Die Fenster
Die farbigen Altarfenster sind Arbeiten des bekannten Soester Künstlers Hans Kaiser. Der im Jahr 1914 geborene Kaiser wurde vor allem durch seine Glaskunst bekannt. Er schuf auch Glasfenster für die National Cathedral in Washington, das Glasmosaik im Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ in Bonn und Fenster für den Patroklusdom in seiner Heimatstadt Soest.
Der Altar
Den neuen Altar schuf der Bildhauer Johannes Niemeyer aus Druffel bei Wiedenbrück unter Verwendung der alten Altarplatte.
Das Gemälde mit dem Siechenmädchen
Das Bild mit der Kreuzigungsszene mit dem knieenden Siechenmädchen war ursprünglich Bestandteil des Altars aus dem Jahr 1629. Das Gemälde befindet sich heute in Privatbesitz. An der Nordwand der Kapelle hängt nun eine Kopie. Das Original wurde im Jahr 1629 als Altarbild von Wilhelm Mittweg für die Siechenhauskapelle gestiftet. Mittweg war Canonicus und Dekan des Kanonichen-Kapitels, Rektor der Münsterkirchen-Fabrik und Rektor der Siechenhaus-Vikarie. Der Stifter hat sich in knieender Haltung auf dem Gemälde verewigen lassen. Im Bildmittelgrund ist eine Stadt zu erkennen (Essen?), rechts neben dem Kreuz stehen die Gottesmutter Maria und der Apostel Johannes.
Das Kreuz
Das Hängekreuz über dem Altar hängt dort seit dem Jubiläumsjahr 1996. Das Kreuz mit den acht Bergkristallen schuf der Velberter Künstler Helge Kühnapfel. Er schuf auch die Taufschale in der Pax Christi Kirche in Essen.
Der Tabernakel
Für den Tabernakel, der die Monstranz mit der Hostie, dem Leib Christi, aufnimmt, verwendete der Künstler Johannes Niemeyer aus Wiedenbrück Überreste der im Krieg zerstörten Objekte. Im gleichen Zuge entstanden auch die schweren Kerzenleuchter hinter dem Altar. Den Tabernakel krönt die Darstellung einer Dornenkrone. Die kreisförmig angeordneten Kristalle unterstreichen ebenso wie das in Goldfarbe gefasste Innere des Tabernakels, dass hier ein wahrer König zu Hause ist.
Der Ambo
Der Ambo ist das „Stehpult“, auf dem in Kirchen während der Messfeiern und Gottesdiensten das Buch mit den Texten der Heiligen Schrift abgelegt wird. Von dort werden die Lesungen und die Evangelien vorgetragen. Den Ambo der Siechenhauskapelle schuf der Velberter Künstler Helge Kühnapfel. Die in Kreuzform angeordneten transparenten, Kristall-Halbkugeln stehen für die vier Evangelisten. Die fünf tragenden schlanken Beine springen vor und zurück und verleihen der tragenden Platte, die einem aufgeschlagenen Buch gleich die Heilige Schrift trägt, etwas Schwebendes.
Christophorus
An der Südwand der Kapelle ist eine hölzerne Christophorusfigur unbekannter Herkunft zu sehen. Wann diese Figur in der Formensprache des Barock geschnitzt wurde, ist unbekannt. Er gilt als der Schutzheilige der Reisenden und passt daher gut in eine Kapelle, die an einem Ort steht, an dem so viele Menschen unterwegs sind. Der Legende nach hatte es sich ein hünenhafter Mann namens Offerus zur Aufgabe gemacht, Reisende über einen Fluss zu tragen. Eines Tages nahm er ein kleines Kind auf seine Schultern. In der Mitte des Stroms befürchtete er, unter der immer schwerer werdenden Last zu ertrinken. „Hätte ich alle dieser Welt auf den Schultern getragen, es wäre nicht schwerer gewesen.“ Da antwortete ihm das Kind: „Du hast nicht allein die Welt auf Deinen Schultern getragen, sondern auch den, der ihn erschaffen hat.“ Das Jesuskind nannte ihn der Legende nach „Christophorus“: Christusträger. Eine historische Figur hinter dieser Erzählung ist nicht belegt.
Das Kruzifix an der Außenwand
Das hölzerne Kreuz an der Außenwand zur Rüttenscheider Straße schuf der Essener Bildhauer Karl Zangerle. Im Jahr 2012 wurde es durch Vandalismus stark beschädigt und in der Folge restauriert und neu zusammengesetzt.